Kathrin Gruber - ArchitekturDesign
Friedhofserweiterung Tisens
Planerische Leitgedanken:
Der Friedhof in Tisens ist als "Kirchhof" angelegt, dessen weit sichtbarer und ideeller Mittelpunkt
die Kirche ist. Zusammen mit dem alten Grundschulgebäude und dem Widum ist dieser in sich geschlossene
Bezirk prägend für das Ortsbild und für die kulturelle Identifikation der Einwohner mit dem Ort.
Die Anbindung an den bestehenden Friedhof und die Auseinandersetzung mit der Bausubstanz der alten Grundschule,
die Gestaltung der Grenzbereiche und Übergänge in das umgebende Ortsgefüge und nicht zuletzt die Einbindung
religiöser Inhalte sind die gestalterischen Leitgedanken dieses Entwurfs. Die Dichte und Dominanz der angrenzenden
baulichen Substanz und das geforderte Flächenausmaß für diie Erdbestattung lassen keine großartigen Gesten zu,
sondern stellen eher das Kriterium der Angemessenheit in den Vordergrund. So versucht der Entwurf mit einfachen
und ruhigen Linienführungen auf das Vorgefundene zu reagieren und sich wie selbverständlich dem Bestand zuzuordnen.
Unprätentiös aber mit einer eigenständigen Formensprache knüpft das neue Friedhofsareal in der Aufnahme von Flucht
und Wegeachsen unmittelbar an die vorhandene Struktur der ersten Erweiterung aus dem vorigen Jahrhundert an und
gliedert die zur Verfügung stehende geneigte Fläche möglichst raumsparend in überschaubare Terrassen, welche
untereinander mit Rampen und Treppen verbunden sind. Auf diese Weise schafft die geplante Erweiterung ebene
Gräberfelder mit einer Fläche von insgesamt 417 m² bzw. 107 neuen Gräbern. In den Grundrissen sind die Grabstellen
in den in der Friedhofsordnung der Gemeinde Tisens angeführten Dimensionen dargestellt. In ihrer Anordnung und
Ausrichtung sind die neuen Bestattungsflächen gleichwertig mit den bestehenden. Die Orientierung der einzelnen
Grabstellen geschieht traditionell in Ost-Westrichtung, das Grabzeichen auf die aufgehende Sonne ausgerichtet.
Die lineare Hauptachse des Herrensteiges fungiert als Vermittler zwischen bestehendem und neuen Friedhof.
Durch das kontinuierliche Band der Pergola wird die Wegverbindung räumlich gefassen und ein formales Rückgrat
für den neuen Friedhofsteil geschaffen.
Das wichtigste sichtbare Gestaltungselement dieser Friedhofserweiterung sind die Eingangsbereiche und das Kolumbarium.
Der dem herrschaftlichen Widum gegenüberliegende Zugang wird zum Haupteingang der Friedhofsanlage umgestaltet.
Inhaltlich gilt es, den natürlichen Übergang zum Leben nach dem Tode durch eine würdevolle Bauweise und Gestaltung
auszudrücken. Ein kleiner überdachter Vorplatz mit Brunnen und künstlerisch getalteter Stele mit christlichen Symbolen
und die Verwendung von hochwertigem Material (Tombak) tragen diesem Anspruch Rechnung. Der südseitige Zugang am unteren
Ende der Friedhofanlage wird mit der Umgestaltung des Schulgebäudes neu geschaffen. Auch dieser Eingang wird durch
eine Überdachung betont und wiederholt in Formensprache und Materialwahl die Gestaltungsmittel des Haupteinganges
im Norden der Anlage.
Die gekrümmte Wandscheibe an der Ostfassade des Schulgebäudes verbirgt wie ein Parvent die Zugänge zu den erforderlichen
Nasszellen für den Friedhof und den neu angelegten externen Zugang zu Heizraum und Abstellräumen im Kellergeschoss des
Schulhauses. Gleichzeitig umfängt sie das hier angelegte Gräberfeld und schafft einen abgeschirmten, kontemplativen Bereich.
Die Nebenräume für Müll, Geräte und Kerzen sind in den überdachten Baukörpern der beiden Haupteingänge integriert.
Der Geräteraum für den Friedhofswärter und ein wettergeschütztes Erdlager sind unter der neugeschaffenen Terrasse des
Schulhauses untergebracht. Die baulichen Eingriffe in den bestehenden Kirchhof beschränken sich auf den Abbruch des
Geräteraumes und die Neuerrichtung der bestehenden Treppenanlge an der Ostseite des historischen Kirchhofes mit Einfügen
eines Zwischenpodestes.
Kolumbarium:
Einen deutlichen Akzent in der Gesamtanlage setzt der Urnenbereich. Unmittelbar an den nordseitigen Haupteingang
angegliedert sind die aus dem Boden wachsenden Wandskulpturen wesentlicher Bestandteil der besonderen Gestaltung des
Eingangsbereiches. Sie liegen außerhalb des in der Fortsetzung des bestehenden Friedhofes geplanten Anlage für die
Erdbestattungen und bilden in ihrer spiralförmigen Anordnung einen separaten Bereich der Besinnung und Meditation.
Die Spirale steht für die unendliche Bewegung, für Wiederkehr und Erneuerung im Leben und im Tod. Die Asche des
Verstorbenen wird wieder eingebunden in diesen ewigen Kreislauf der Natur. Die Linde im Zentrum der Spirlenförmigen
Anordnung des Kolumbariums verdeutlich in ihrem jahreszeitlichen Wandel diesen Symbolgehalt.
Oberflächengestaltung - Bepflanzungskonzept:
Der neue Friedhof soll wie der bestehende begrünt sein. Lediglich für die Hauptwege ist eine wassergebundene Schotterdecke
vorgesehen. Mit einer Breite von mindesten 1.50 m und maximalen Neigung von 8% ist die Erreichbarkeit für Gehbehinderte
und die Befahrbarkeit für Friedhofstechnik gewährleistet. Der Herrensteig wird zusammen mit dem neuen Platz auf der Terrasse
des Schulhauses mit in Bahnen verlegten ortgebundenen Porphyr- oder Kalksteinplatten belegt. Der Platz zwischen Widum und
Friedhof wird durch eine neue Oberfflächengestaltung aus Naturstein aufgewertet werden. Das Muster aus strahlenförmigen
Plattenstreifen mit dazwischen verlegten Großpflaster verbindet sinnfällig die beiden Komplexe und unterstützt die öffnende
Geste des neuen Nordeingangs zum Herrensteig. Die Nutzung der Grabfelder erfolgt nach und nach. In der Zwischenzeit wird die
Bepflanzung mit immergrünen Bodendeckern wie Efeu und weissblühendem Immergrün (Vinca) vorgeschlagen. So werden auch die
nicht genutzten Flächen mit einer pflegeleichten immergrünen niedrigen Pflanzendecke überwachsen und verleihen dem Friedhof
eine wohltuende Einheitlichkeit und stimmungsvolle Ruhe. Für die Solitärbäume welche, die Eingangsbereiche und den
Urnenbereich markieren, sind Linden vorgesehen. Wie die mächtige Linde vor dem Tisner Rathaus gelten sie als Zeichen der
lokalen Gerichtsbarkeit und der dörflichen Gemeinschaft und versinnbildlichen so das Eingebundensein der Verstorbenen in die
Dorfgemeinschaft. Die Baumreihe an der ostseitigen Umfriedung besteht aus Eichen, welche ihr Herbstlaub erst im Frühling
abwerfen und somit über das ganze Jahr ihre raumbildende und rhythmisierende Wirkung beibehalten. Eichen betrachtet man
seit germanischen Zeiten als heilige Bäume; sie wurden mit natürlicher Weisheit, Philosophie, Optimismus und Prophezeiung
assoziiert und sind das Symbol für Kraft und Beständigkeit. Die gegenüberliegende Raumkante bildet die Pergola entlang des
Herrensteiges. Sie wird mit öfterblühenden Kletterrosen berankt auch als Reminiszenz an den hier bestandenen, früher reich
blühenden Widumgarten.
Materialien, Farben:
Verwendet werden wenige unbehandelte Materialien: gestockter Beton für die Einfassugsmauern und Treppen, Tombak für die
Eingangsgebäude und die Wandkörper des Kolumbariums, farbige Glaskörper für die Gestaltung der Urnennischen, ortsgebundener
Porphyr und Kalkstein für die Wege- und Platzgestaltung. Die farbliche Gestaltung beschränkt sich auf die lehmfarbene
Einfärben des gestockten Betons . Die eigentliche Farbwirkung ergibt sich aus den verwendeten Materialien und ist in der
Zeit einem ständigen Wandel durch den natürlichen Aletrungsprozess unterworfen.
Nutzungsvorschläge ehemalige Volksschule:
Ihrem ursprünglichen Sinngehalt als Ort der Wissensvermittlung entsprechend wird die Nutzung als Schule nach dem Vorbild
der "Erlebnisschule Langtaufers" oder ähnlich strukturierten Biospärenschulen in Österreich, Deutschland und der Schweiz
vorgeschlagen. Die Erlebnisschule Langtaufers ist ein eigenständiges Projekt des Schulamtes und in die normale Schultätigkeit
integriert. Jährlich besuchen über 2000 Schüler aus ganz Südtirol, aus der benachbarten Provinz und aus dem Ausland diese
Einrichtung. Neben den Wochen für die Kinder finden auch Fortbildungsveranstaltungen für Erwachsene statt und zusätzlich
werden im Sommer noch Sprachcamps angeboten. Die Kinder und Jugendlichen wohnen während des Aufenthaltes bei privaten
Zimmervermietern auf verschiedenen Bauernhöfen. Die "schulischen" Aktivitäten finden im aufgelassenen Schulgebäude der
GS Grub statt - bzw. in der freien Natur. die Unterrichtseinheiten, die in Bausteine gegliedert sind, werden von Bewohnern
des Tales vermittelt und haben handlungsorientierts Lernen durch praktische Beispiele zum Ziel. Tisens bietet zahlreiche
örtliche Besonderheiten die in einzelnen Bausteinen vermittelt werden könnten:
Das Tisner Mittelgebirge - Landschaftsvielfalt und
Wolle und Wollverarbeitung - Filzen - Filzkunstweg
Wald - Erlebnisweg Vorbichl
Wasser - Prissnerbach - Kneippen
Auf den Spuren der Römer - Römerbrücke - Römerweg
Schlösser und Burgen - Sagen und Märchen
Heilige Orte: von Hippolyt über St. Christoph nach St. Jakob
Kastanien und Versoaln - die größte Rebe der Welt
Kulturelle Veranstaltungen - Kurse:
Daneben könnten die Räumlichkeiten von Vereinen für verschiedene Kurse oder Seminare angemietet werden. Der große Saal im
Obergeschoss bietet zudem den idealen Rahmen für Ausstellungen, Vorträge, kleinere Theater- und Schulaufführungen, Dia- oder
Filmvorführungen u.ä. Auch die Anmietung der Räumlichkeiten durch Einzelpersonen für private Familienfeiern wie Taufe,
Erstkommunion oder Firmung wäre denkbar.
Sonntagscafe:
Im Sinne des Weitergebens von Erfahrungswissen ist auch die Idee der Einrichtung eines Kirchencafes oder Sonntagscafes.
In vielen Orten Deutschland ist dieses Angebot aus dem Gemeindeleben nicht mehr wegzudenken. Nach jedem Gottesdienst warten
im Gemeindesaal frischer Kaffee und Tee sowie gespendeter selbstgebackener Kuchen auf die Kirchgänger. Viele Gespräche
und generationsübergreifender Erfahrungsaustausch, viel Gemeinschaft und Nähe findet seinen Platz im Kirchenkaffee. Bei
schönem Wetter kann der Kaffee auf der Terrasse im Freien genossen werden. Freiwillige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
sind für die Bereitstellung, den Service und das Aufräumen verantwortlich. Die entstehenden Kosten werden durch die
Kirchgemeinde getragen.
Eine Weiterführung dieser Idee ist die dauerhafte Einrichtung eines Cafes im Stile der Wiener Kaffehaustradition mit
umfassender Zeitungslektüre, ein Ort in dem debattiert, Schach gespielt oder Zeitung gelesen wird, ein "Forum", das im
Gegensatz zum virtuellen Internetforum ein reeller Ort der Begegnung und des Meinungsaustausches mit Menschen ist.
Die baulichen Eingriffe für die oben angeführten Nutzung beschränken sich auf den Abbruch einzelner Innenwände, wodurch
im Erdgeschoss zwei größere Werkräume an der Südseite entstehen und die notwendigen Abstell- und Sanitärräume im rückwärtigen
Gebäudeteil. Der Treppenaufgang in das Obergeschoss bleibt erhalten. Der interne Zugang zum Kellergeschoss hingegen wird
geschlossen und eine neuer Zugang extern an der Ostfassade des Hauses geschaffen. Da hier bereits ein Keller bestanden hat
muss das Gebäude nicht unterfangen werden und die neue Treppe kann auf die Fundamente des alten Schuldienergebäudes gründen.
Der Heizraum im Kellergeschoss wird ausgelegt auf die Beheizung der Kirche samt Schulgebäude und die anfallenden Kosten
werden anteilmäßig abgerechnet. Im Obergeschoss wird durch die Entkernung und die Herausnahme Dachbodens der großartige
Dachstuhl des Gebäudes in seiner ganzen Dimension und Höhe sichtbar und ein einzigartiger Raum geschaffen, der flexibel
genutzt werden kann. Die Nebenräume wie Garderobe, WC-Anlage und Bartheke sind als verschliessbare Boxen ind den großen
Raum gestellt und können durch Öffnen von Schiebewänden je nach Bedarf nutzbar gemacht werden. Seit nunmehr fast 10 Jahren
bietet die Erlebnisschule Langtaufers Schulklassen in mehrtägigen Aufenthalten die Möglichkeit unmittelbarer Natur- und
Gemeinschaftserbnisse. Folgende Ziele werden dabei verfolgt: Sensibilisierung für die bäuerliche Kultur und die Besonderheiten
der Bergbauerngebiete, Begegnungen und Gespräche mit Menschen aus Langtaufers, Beobachtungen bei der Arbeit am Hof.
Handlungsorientiertes Lernen durch praktische Beispiele.
Daneben sind die Nächtigungen der vielen Kinder auch ein Wertschöpfung für as Tal, Unterstützt wird das Projekt der
Gemeindeverwaltung, von den Raiffeisenkassen des Vinschgaus und der Regionalentwicklung unterstützt. Der Großteil der
finanziellen Zuwendung kommt vom Schulamt. Somit sind die 85 € für drei Tage, alles inklusive, auch die An- und Heimreise,
für die Eltern ein sozialer Preis. Dort können Schulklassen aus ganz Südtirol und den Nachbarländern an 3 bis 5 Tagen das
Langtauferertal kennen lernen und an verschiedenen Bausteinen Wald, Wasser, Landwirtschaft, Gletscher, Sagen und Märchen
sowie im Winter auch den Schnee mit Lawinenkunde erarbeiten.
Daten
Bauherr
Gemeinde Tisens
Mitwirkende
Arch. Kathrin Gruber
Leistungen
geladener Wettbewerb
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